Nachhaltigkeit

In Verantwortung für die künftigen Generationen


Nachhaltiges Bauen ist generell eine besondere Beschaffenheit – oder doch bereits heute geschuldeter Stand der Technik?

Fundstelle

OLG Stuttgart, Urteil vom 30.04.2020, 13 U 261/18; BGH, Beschluss vom 16.12.2020, VII ZR 77/20 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

 

Sachverhalt

Ein Bauträger errichtet ein größeres Mehrparteienhaus und verspricht den Erwerbern in den Kaufverträgen unter anderem eine „Komfortbedienbarkeit der Heizungsanlage“ und „Regelung raumweise über Thermostate“.

Ein Erwerber moniert nach der Errichtung, dass in kleineren Nebenräumen keine eigene Steuerung bestand, sondern der Heizkreis des Nachbarraums durchlaufe. Er setzt eine Mangelbeseitigungsfrist, die der Bauträger verstreichen lässt. Der Erwerber klagt auf Vorschuss zur Mangelbeseitigung, über 50.000 Euro.

Zu Recht?

 

Problematik

Der Fall stellt zwei Fragen auf: ist bereits die Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit verletzt, wenn die Beheizung kleinerer Räume nicht einzeln gesteuert werden kann? Und stellt dies eine Abweichung vom anerkannten Stand der Technik dar?

Einfach zu beantworten ist eine Vorfrage: auch wenn der „Erwerber“ einen „notariellen Kaufvertrag“ im Bauträgervertragssystem geschlossen hatte, ist Werkvertragsrecht (und nicht Kaufrecht) anzuwenden: der maßgebliche Teil des Vertrags besteht in der Bauverpflichtung. Es sind also die werkvertraglichen Gesetzes- und Rechtsprechungsergebnisse anzuwenden.

Etwas schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob es sich insbesondere bei dem Flur neben dem Schlafzimmer im 2. OG der Wohnung um einen eigenen Raum handelte, der nach der Baubeschreibung ein eigenes Thermostat zu erhalten habe. Hier musste der Wille der Parteien ausgelegt werden: was wollten die Parteien vereinbaren? Die Regelung der Haupträume (Wohnzimmer, Küche, Bad, Schlafräume, Arbeitszimmer) oder die Regelung aller einzelnen Bereiche der Wohnung, die irgendwie als eigener Raum wahrnehmbar sind (also auch Dielen, Hausanschlussraum, Abstellkammer etc.)? Nur dann, wenn eine Beschaffenheit auch diese Nebenräume als „einzeln mit Thermostat regelbare“ Heizbereiche umfassen würde, läge ein Mangel vor, wenn keine Einzelsteuerung eingebaut wurde.

Zuletzt ist besonders spannend die Frage gewesen, ob die Heizkonstruktion gegen die Energieeinsparverordnung EnEV verstieß – und wie sich dies eigentlich auswirkt. Vorliegend war (noch) die EnEV 2009 gültig, die die spätere Kleinraumregelung für Nebenräume unter sechs Quadratmetern Größe ausnahm: es galt die Vorgabe des § 14 EnEV, eine raumweise Regelung der Raumtemperatur vorzusehen.

Zwei Räume betraf die Frage besonders: den Flur neben dem Schlafzimmer mit dem nachvollziehbaren Wunsch des Erwerbers, den Flur zu heizen und das Schlafzimmer nicht, und einen Abstellraum, der mit dem benachbarten Zimmer mitgeheizt werden musste, ohne dass dies für den Abstellraum gewünscht (oder nötig) war.

Wenn § 14 EnEV eine anerkannte Regel der Technik war, kam es auf die Frage nicht an, ob die Beschaffenheit der Einzelraumthermostate vereinbart war oder nicht: dann war die Bauausführung in jedem Fall mangelhaft und damit nacherfüllungsnotwendig.

 

Entscheidung

Das OLG Stuttgart hat (wie bereits in erster Instanz das örtliche Landgericht) entschieden, dass nach beiden Fragen ein Mangel anzunehmen sei. Bezüglich der Frage der Auslegung des Bauträgervertrags wurde dies auf Basis der Eigenheiten des Einzelfalls geprüft und entschieden. Spannender ist die Entscheidung, dass ein Verstoß gegen die EnEV vorliege und dies als Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit als Mangel zu bewerten sei.

 

Der Sinn und Zweck der EnEV sei es geradezu, Fälle wie den vorliegenden zu vermeiden: dass Energie in Räume eingebracht und damit verbraucht werde, in denen gar kein Interesse daran vorliegt: „Das Thermostatventil gem. § 14 Abs. 2 Satz 1 EnVO 2009 soll die genaue Regulierung der Wärmezufuhr zu einem Heizkörper/Fußbodenheizung in einem Raum durch automatische Veränderung der Warmwasser-Durchflussmenge ermöglichen. Es trägt damit in zweifacher Weise zur Verringerung der Heizkosten bei: Zum einen, weil der Nutzer die Warmwasser-Durchflussmenge selbst drosseln kann, und zum anderen, weil sich das Ventil bei Erwärmung des Raumes durch Fremdwärmequellen (z.B. Sonne) selbst schließt. Beides ist hier für die streitgegenständlichen Räume nicht möglich.“

Die Funktion des Werks wurde also nicht erreicht, welche explizit vereinbart war und als stets geschuldete Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik zu leisten war: Einzelsteuerung jedes Raums mit Thermostat. Wie bereits öfters ausgeurteilt – auch bereits mehrfach in opus C besprochen –, kann sich ein Handwerker auf die Unzumutbarkeit der Mangelbeseitigung wegen der hohen Kosten nicht berufen, wenn eine zentrale Funktionalität nicht erreicht ist.

Daher hat das OLG Stuttgart den Bauträger zum nachträglichen Umbau der Heizung verurteilt, was jenen mehr als 50.000 Euro kosten wird.

 

Auswirkung für die Praxis

Die Entscheidung zeigt eine Richtung der Justiz auf, die zunehmend auch die Nachhaltigkeit des Bauens vor Augen hat. Der Gesetzgeber hat durch die Energieeinsparverordnung einen gesellschaftlichen Konsens in allgemeingültige Regelungen „gegossen“, dass Energieverschwendung nicht mehr zeitgemäß ist. Dies reflektiert einen langen Erkenntnisweg der Politik, der Wählermeinung folgend, dass es eine Verantwortung für den Planeten gibt.

Die Staatszielbestimmung in Art. 20a des Grundgesetzes lautet seit 1994: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Seit 2002 ist der Schutz der Tiere hinzugetreten.

Dieser Artikel ist nach einem Vierteljahrhundert der reinen Symbolik mit der bahnbrechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29.04.2021 (1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 – „Klimaschutz“) kürzlich in seiner Wichtigkeit bestätigt worden. Es verstößt gegen das Grundgesetz und die Grundrechte der Bürger, wenn der Staat gebotene Handlungen unterlässt, um künftige Generationen zu schützen. Der schlichte Gedanke: es beschränkt die Freiheit der Zukunft, wenn wir heute so handeln, dass die Folgenbeseitigung dann nur noch eine Handlung zulässt – wenn wir heute also die freiheitlichen Entscheidungen der Kinder und Enkel ausschließen.

Der Bausektor ist weltweit für ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich – und die steigende Tendenz widerspricht eklatant den gebotenen Reduktionen des Ausstoßes treibhauswirksamer Gase in die Atmosphäre.

Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das Übereinkommen von Paris aus dem Jahr 2015 (der sog. „Weltklimavertrag“) mit dem Ziel, die Klimaerwärmung auf 1,5°C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, als völkerrechtlicher Vertrag für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich ist: er stellt den Kompromiss der Weltstaatengemeinschaft dar, was mindestens nötig ist, und was als Konsens von allen zu erreichen sein wird.

Das Zusammenspiel des Grundgesetzes mit dem Völkerrecht bindet – in Art. 20a GG explizit genannt – auch die Rechtsprechung.

Es ist daher davon auszugehen, dass Regelungen, die zur Energieeinsparung, insbesondere zur Emissionssenkung von Treibhausgasen, künftig stark gesteigert von der Rechtsprechung durchgesetzt werden. Die EnEV ist ein erstes Gesetz, welches als anerkannte Regel der Technik zu berücksichtigen ist.

Ich prognostiziere, dass auch die Normen der Bauproduktzulassungen (beispielsweise die Muster- oder Länderbauordnungen) künftig im Licht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgelegt werden: zugelassen wird dann nur noch, was nicht gegen höheres Recht verstößt, also nicht künftige Generationen zwingend schädigt. Dies dürfte auch bereits für allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen gelten, wenn es um die „Gebrauchstauglichkeit“ geht: kann ein Werkstoff gebrauchstauglich sein, der zwingend gegen die Pflichten gegenüber künftigen Generationen verstößt?

Muss nicht ein Architekt, der für mindestens 50 Jahre Gebäudenutzbarkeit plant, vorhersehen, dass die Ressourcenknappheit und die Klimaschutzvorgaben künftig eine andere Bautechnik erwarten lassen, mit rückbaufähigen Ausführungen und recyclefähigen Baustoffen?

Es wird noch eine Reihe vergleichbarer Urteile geben. Die Bauwirtschaft wird dies nicht verhindern können; sie wäre gut beraten, sich auf die Änderungen vorzubereiten. Die gebotene Transformation wird sie ebenso erreichen wir die alltäglich diskutierte „Wende“ des Verkehrs und der Energiegewinnung.

Allerdings: mir macht das Mut. Es gibt Chancen auf Innovation, auf neue (gegebenenfalls weltweit exportierbare) Ideen und Baustoffe, und damit zuletzt auch auf eine lebenswerte Zukunft. Es gibt gerade im Gebäudebereich sehr viel Gutes zu tun – wer die Zeichen der Zeit richtig deutet, kann von Anfang an dabei sein. Lassen Sie uns alle nachhaltig Bauen – in Verantwortung für die künftigen Generationen!

Den vollständigen Beitrag finden Sie in der Ausgabe 04 / 2021
Ausgabe 04/21
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