Das Schubart-Gymnasium im baden-württembergischen Aalen, 1912 von dem Stuttgarter Architekten Paul Bonatz erbaut, galt lange als für die Schularchitektur wegweisend. Das ehrwürdige Gebäude, im Stil des Traditionalismus errichtet, steht heute unter Denkmalschutz – und steht gleichzeitig für die heute zunehmende Herausforderung der diese Lehrorte betreibenden Städte: die Aufwendungen für die Klimatisierung von Schulgebäuden belasten zunehmend die kommunalen Haushaltskassen. Für den 2019 fertiggestellten Erweiterungsbau des Gymnasiums fand das Aalener Architekturbüro Liebel Architekten eine zukunftsweisende Lösung, um gezielt Ressourcen und laufende Betriebskosten einzusparen.
Gemeinsam mit den Stuttgarter Klimaingenieuren der Transsolar Energietechnik GmbH entwarfen sie einen neuen Fachklassentrakt für Chemie und Biologie, der mittels eines integralen Energiekonzepts die maximale Ausnutzung ressourcen- und kostenneutraler Umweltenergie gewährleistet und einen Null-Energie-Standard erreicht. Der Fachklassentrakt ist ein aktives Haus, das die natürlich vorhandenen Umweltenergien Licht, Thermik und Erdwärme maximal ausnutzt und – als bewusster Gegenentwurf zum Trend der zunehmenden Gebäudetechnisierung – auf wartungs- und kostenintensive Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlagen verzichtet.
Ökobilanzierung als Planungswerkzeug
Liebel Architekten und Transsolar hatten den Schulersatzneubau bereits im Rahmen des Architekturwettbewerbs mit der Zielsetzung entworfen, ein Nullenergiegebäude zu schaffen. Bei der späteren Beauftragung äußerte die Stadt Aalen als Bauherr jedoch den Wunsch, dass das Gebäude in einem stärker gedämmten Passivhaus-Standard realisiert werden solle.
Architekten und Klimaingenieure unterzogen daraufhin im Rahmen der weiteren Planung insbesondere die Gebäudedämmung einer ganzheitlichen Analyse. Dabei wurde auch dem besonderen Umstand der Belegzeit des Schulgebäudes Rechnung getragen, und der Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler in Schulgebäuden – anders als in Wohn- oder Bürogebäuden – sowohl Innen- als auch Außentüren unzählige Male am Tag öffnen und schließen. Mittels Simulation und vergleichender Berechnungen für die Bau- und Unterhaltskosten für den Passivhausstandard (mit entsprechenden Anforderungen an die Dämmstoffdicke) einerseits und den Standard Nullenergiegebäude bzw. aktives Haus (mit gutem Dämmstandard, der jedoch keinen Passivhausdämmstandard erreicht) andererseits konnte nachgewiesen werden, dass der Neubau als Nullenergiegebäude sowohl geringere Investitions- als auch Unterhaltskosten ermöglichen würde.
Realisiert wurde schließlich ein Gebäude mit gutem Dämmstandard und einem Architektur- und Klimakonzept, das auf dem maximalen Einsatz von erneuerbaren Energien für Belichtung, Lüftung und Temperierung basiert und das Erreichen des Nullenergie-Standards sicherstellt.
Hybridbauweise aus Beton und Holz
Auch die Auswahl der Baustoffe wurde einer ökologischen Nachhaltigkeitsbetrachtung unterzogen. „Wir hatten“, so erläutert Architekt Bernd Liebel, „ursprünglich einen Stahlbeton-Holz-Hybridbau vorgesehen. Dieser sah auf der unteren Ebene eine Massivbauweise in Beton, auf der mittleren Ebene eine Hybridbauweise und auf der oberen Ebenen eine Holzbauweise vor.“ Eine im Rahmen der Planung durchgeführte Simulation längerer Hitzeperioden im Raum Aalen auf Basis von vom Deutschen Wetterdienst zur Verfügung gestellter Daten jedoch war Anlass, diesen Entwurf zu modifizieren. Die aus der Simulation resultierenden Auswirkungen auf die Erwärmung des Gebäudes während der Sommermonate waren Anlass, auch das Obergeschoss des Gebäudes nicht als reinen Leichtbau, sondern als Hybridbau aus Beton und Holz zu realisieren. „Der nun auch hier verbaute Beton trägt – zusätzlich zur Betonbauweise der Fundamente, der Bodenplatte und Wände und Decken – maßgeblich zu einer ausgewogenen Temperierung des Gebäudes bei. Durch die Erhöhung der thermische Speichermasse aus Beton konnten wir an heißen Tagen im Sommer ohne zusätzliche Kühlungsmaßnahmen eine um einen Grad kühlere Raumtemperatur erzielen,“ so Architekt Liebel.
Pragmatische Architektur
Der neue Fachtrakt ist auf dem Schulgelände unweit des Altbaus des Gymnasiums in Nord-/Südrichtung ausgerichtet. Das Gebäude gräbt sich in den Boden ein, um den Blick auf die denkmalgeschützte Schule nicht zu verstellen. Durch die Aufnahme der vorhandenen Raumgeometrien entsteht aus den einzelnen Gebäudekomplexen ein gemeinsames Schul-Ensemble. Im Untergeschoss des Gebäudes befinden sich Räume für Chemie, Naturwissenschaften und Technik, ein Besprechungsraum sowie der Sanitärbereich. Das Obergeschoss beherbergt mit drei Lehrübungsräumen, einem Praktikumsraum und der naturwissenschaftlichen Sammlung den Fachbereich Biologie. Für die Vertikalerschließung steht ergänzend zur Treppenanlage ein Aufzug zur Verfügung.
Scheddach für optimale Tageslichtausleuchtung
Untersuchungen mit verschiedenen Dachformen haben während der Planungsphase gezeigt, dass ein nordorientiertes Scheddach eine maximale Tageslichtausbeute ermöglicht. Die Ausformung des Scheddachs wurde für eine optimierte Tageslichtausleuchtung der Räume hin optimiert. Dadurch konnte der Tageslichtquotient im Vergleich zu herkömmlichen Oberlichtern von 2,9 auf 4,3 erhöht werden und es gelangt ca. 50 % mehr Tageslicht in die Räume. Zirka 50 Prozent der für die Ausleuchtung der Unterrichtsräume erforderlichen elektrischen Energie können damit eingespart werden.
Auf dem Scheddach wurde eine Photovoltaik-Anlage installiert, die den gesamten Primärenergiebedarf des Gebäudes über das Jahr hin abdeckt. Die während der Sommermonate erzeugte überschüssige Energie wird über ein internes Netz an das alte Hauptgebäude des Gymnasiums weiterleitet. Ergänzend wurde auf den horizontalen Flächen des Daches eine Begrünung installiert, die die sommerliche Aufheizung des Gebäudes minimiert, die Biodiversität steigert und das Regenwasser speichert.
Natürliches hybrides Lüftungssystem
Neben einer optimierten Tageslichtausbeute ermöglichen die motorbetriebenen Fensterflügel des Scheddaches eine effektive Nachtlüftung als thermische Querlüftung. Für die Taglüftung wird ein hybrides Lüftungssystem eingesetzt, das auf einer sogenannten Schublüftung in Kombination mit einer Fensterlüftung basiert. Die Schublüftung dient der Grundlüftung, die Fensterlüftung der ergänzenden Stoßlüftung während der Unterrichtspausen. Abluftkanäle sind nicht erforderlich, da die verbrauchte Luft aus den Räumen über ein Schallschutzelement in das Foyer beziehungsweise den Flur zur Abluftöffnung im Dach strömen kann.
Wesentliches Element der Schublüftung ist ein 45 m langer Erdkanal, über den Zuluft mittels eines energieeffizienten, langsam drehenden Ventilators in alle Klassenräume geschoben wird. Von hier aus wird die Luft mittels schallgedämmter Überström-Elemente in das Foyer weitergeleitet. Für diese Form der Schublüftung ist eine Luftgeschwindigkeit von zirka 1 m/s ausreichend. Im Vergleich zu konventionellen Lüftungsanlagen mit Luftgeschwindigkeiten von zirka 5 m/s können damit rund 80 Prozent an elektrischer Energie eingespart werden.
Klimatisierung
Gleichzeitig wird das Lüftungssystem für die Klimatisierung des Gebäudes genutzt: Die über den zwei Meter tief in das Erdreich verbauten Kanal eingebrachte Frischluft wird durch die Erdwärme im Sommer gekühlt und im Winter erwärmt. Laut der Simulation von Transsolar beträgt die Einsparung an Wärmeenergie für die Außenlufterwärmung durch die Wärmegewinnung mit Hilfe des Erdkanals 17 % oder 1,1 MWh/a. Der 45 m lange Erdkanal bewirkt, dass im Winter die Zuluft um zirka 5 K vorgewärmt und im Sommer um 5 k abgekühlt wird. Gleichzeitig wird dadurch bei niedrigen Außentemperaturen sichergestellt, dass Zugerscheinungen vermieden werden. Ergänzend dazu wurden in der Abluftöffnung im Dach wie auch in der Zuluftöffnung im Untergeschoß Wärmetauscher eingebaut. Während der Heizzeit wird der Abluft Wärme entzogen und der Zuluft erneut zugeführt. In den Wintermonaten wird das Gebäude ergänzend über das Blockheizkraftwerk des historischen Hauptgebäudes mit Wärme versorgt. Die Lastreserven reichen aus, um den geringen Heizwärmebedarf des Neubaus zu decken, so dass auf eine neue Heizungsanlage verzichtet werden konnte.
Kühlung nur mit Beton
Die passive Kühlung des Gebäudes während der Sommermonate wird ausschließlich durch die verbauten massiven Betonbauteile gewährleistet. „Während der Sommermonate werden die Fenster der Oberlichter um 22 Uhr automatisch für die Nachtlüftung geöffnet, so dass die in den Betonteilen während des Tages gespeicherte Wärme über die natürliche Thermik des Gebäudes – ganz ohne Ventilatoren – wieder nach außen abgegeben werden kann. Gleichzeitig speichern wir die über die nächtlichen Querlüftung eingebrachte Kühle und sorgen so tagsüber für ein angenehmes Raumklima. Selbst in den heißesten Sommermonaten der letzten Jahre stieg die Raumtemperatur nicht über 24 bis 25 Grad Celsius“, erläutert Bernd Liebel. In Ergänzung zu dieser passiven Kühlung wurde eine zirka 50 Jahre alte Baumreihe auf der Südseite des Gebäudes erhalten und in die Gebäude- und Klimakonzeption mit einbezogen. Im Winter ermöglichen, im Sommer verhindern die Bäume einen Wärmeeintrag in das Gebäude.
Wenig Technik – viel Komfort
Maxime der Planung des neuen Schulgebäudes war es, mit dem Einsatz von möglichst wenig und maximal einfacher Technik einen bestmöglichen Komfort für die Nutzer des Gebäudes zu gewährleisten. „Low Tech – High Comfort“, so Architekt Liebel, „war einer der maßgebenden Schwerpunkte dieses Projektes. Natürliche Beleuchtung und thermischer Komfort sind die Basis für effizientes Lernen und haben einen hohen Einfluss auf den Bildungserfolg.“ Entsprechend wurden Schulleitung und Fachlehrer von Beginn an in die Planung des Gebäudes mit eingebunden und vor dem Betriebsstart über die richtige Anwendung des Lüftungs- und Energiekonzeptes informiert. „Für jeden Unterrichtsraum wurden ideale Belichtungs-, Belüftungs- und Temperaturparameter definiert. Diese können jedoch von den Lehrern, je nach Anforderung an die Lernsituation, angepasst werden. Nach jeder Unterrichtstunde aber werden alle vorgenommenen Änderungen automatisch zurückgesetzt. Das gesamte Gebäude soll möglichst einfach zu nutzen sein“, so Liebel. „Inzwischen hat sich das Konzept im Schulalltag bewährt und wird von Lehrern wie Schülern mitgetragen, weil sie von ihm überzeugt sind und es sich im Alltag bewährt hat.“
Die im Rahmen der Planung errechneten Simulationswerte für den angestrebten Null-Energie-Standard übertreffen heute im tatsächlichen Betrieb die ursprünglich formulierten Erwartungen: Das Gebäude weist aufgrund des Zusammenspiels aller relevanten Komponenten im Betrieb sogar einen Plus-Energie-Standard auf: Es erzeugt über das Jahr hin mindestens so viel lokal und regenerativ erzeugte Energie wie das Gebäude verbraucht.
Architektur
Liebel Architekten, D-73431 Aalen
www.liebelarchitekten.de
Klimatechnik
Transsolar Energietechnik GmbH, D-70563 Stuttgart
www.transsolar.com