Die Erkenntnis, dass er seine ursprünglich von indischen Tempelanlagen inspirierte Idee tatsächlich in die Realität umsetzen kann, beeindruckt den Künstler Bernd Zimmer, besonders wegen des begeisterten Engagements seiner Künstlerkollegen, selbst. In den Vorhallen der hinduistischen Tempel ist jede Säule ein Einzelstück und erzählt ihre eigene Geschichte. Und so ist es auch in der Säulenhalle STOA169 in der Nähe des bayerischen Dorfes Polling.
„Künstler aus aller Welt und allen Kulturen werden hier unter einem Dach versammelt, und sie tragen das Dach gemeinsam“, erklärt Bernd Zimmer das Konzept. Die erste Idee umfasste 1000 Kunstwerke – die realisierte „STOA“ (στοὰ ποικίλη = Griechisch für „bemalte Vorhalle“) wird eine offene Wandelhalle, getragen von 11 x 11 = 121 Stützen. Jede Säule wird von ausgewählten Künstlern individuell gestaltet. „Ein Zeichen der Solidarität und Völkerverständigung in Zeiten der Migrationsströme und Flüchtlingsbewegungen“.
Künstler aller Kontinente gestalten die Säulen
Es war eine Herausforderung, Künstler zu finden, die zum Projekt passen. Eine Fachjury aus den Kunstexperten, Walter Grasskamp, Corinna Thierolf, Franziska Leuthäußer und Ulrich Wilmes, unterstützten Bernd Zimmer bei der Suche. Ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl war, dass die Beteiligten vom Projekt auch seiner politischen Dimension wegen überzeugt sind.
Die Anordnung der Säulenkunstwerke ist nicht zufällig. Mit viel Bedacht arrangierte Bernd Zimmer jedes Werk. Er berücksichtigte dabei den Kontext der umgebenden Säulen – nicht nur ihre optische Wirkung, sondern auch jede Geschichte, die sie erzählen. „Es geht um die Idee von Gemeinschaft und der Kraft von bildender Kunst, um das Nebeneinander unterschiedlicher Vorstellungen von Kunst.“ STOA169 soll ein „frei zugängliches Archiv der zeitgenössischen Kunst“ sein.
Das Bauwerk
Die offene Säulenhalle steht mitten im bayerischen „Pfaffenwinkel“ auf einem 35.000 m² großen, ansonsten landwirtschaftlich genutzten Grundstück. Die Besucher erreichen die Säulenhalle ausschließlich zu Fuß; vom Parkplatz wandert man etwa zehn Minuten in schönster Umgebung am Flussufer der Ammer entlang. Dort eröffnet sich der Blick auf die Säulenhalle.
Das Gebäude soll als Plattform für die im Fokus stehenden Säulenkunstwerke in den Hintergrund treten. Auf der 1.600 m² Bodenplatte sind in einem quadratischen Raster 121 Stützen angeordnet. Jede Stütze ist 3,90 m hoch und darf inklusive Kunstwerk maximal 91 cm Durchmesser haben. So ist genügend Raum für die Begehung und Begegnung gewährleistet und es ergeben sich dynamische Perspektiven auf die unterschiedlichen Säulen. Der Eröffnungstermin im September 2020 stand fest und der Bauzeitenplan sah vor, dass die ersten Kunstwerke im Mai 2020 aufgestellt werden. Daher musste das Bauunternehmen Hönninger aus Kirchseeon bis zu diesem Zeitpunkt die tragenden Stützen, die als Kern für die Säulenkunstwerke dienen, errichtet haben. Demnach war auch die schnelle Bearbeitung und Lieferung der
Einbauteile von Peikko wichtig, um die Betonstützen rechtzeitig herzustellen.
Mit der Tragwerksplanung der Säulenhalle war das Ingenieurbüro Dr. Gollwitzer – Dr. Linse und Partner beauftragt. Im Entwurf waren Stahlstützen als verlorene Schalung konzipiert. Jede Stütze erhält am Kopf eine vorgefertigte Verbindungsplatte, ähnlich einem Kapitell antiker Säulen. Die Betonage der Stützenhohlräume sollte nach der Montage der Kunstwerke und des Daches erfolgen. Bei diesem Verfahren bestand die Gefahr, dass die Kunstwerke beschädigt werden, daher erarbeiteten die Planer der beteiligten Unternehmen gemeinsam eine alternative Lösung: In den Stützen werden Ankerbolzen und in den Kapitellen spezielle Ankerplatten mit Anschlussbewehrung eingesetzt, um sie schnell und einfach miteinander zu verbinden. Am Kopf der Stützen werden je vier Ankerbolzen mithilfe von Schablonen präzise platziert und eine Ankerplatte innerhalb des Kapitells einbetoniert. Die Ankerplatten leisten zusätzlich die Lasteinleitung aus dem Trägerauflager. Der Beton des Kapitells dient als Korrosionsschutz und Brandschutz – und als geometrische Ergänzung der Konstruktion.
Das Kapitell wurde direkt nach dem Betonieren auf die Stützen aufgelegt und mit den herausstehenden Ankerbolzen biegesteif verschraubt. Nach der Befestigung werden die Bauteile nur an der Fügestelle schnell und mit geringen Mengen Vergussmörtel vergossen. Durch den Einsatz der Ankerbolzen und Ankerplatten wurden aufwendige Schalungsarbeiten und temporäre Unterstützung auf der Baustelle vermieden. Durch die mechanische Verbindung der Bauteile konnte ein schneller Bauablauf während des Rohbaus und eine unabhängige Montage der Kunstobjekte realisiert werden.
Synergie zwischen Kunst und Bautechnik
Der Rohbau und seine bautechnische Ausführung musste in diesem Bauvorhaben die Grundlage für die Umsetzung und Präsentation der künstlerischen Arbeit bilden. Es galt, eine Struktur zu schaffen, in die 121 individuelle Kunstwerke in gleicher Weise eingefügt werden können. 121 Stahlbetonstützen, die über angeschraubte Verbindungsplatten das gemeinsame Dach der Säulenhalle tragen, waren in diesem Kunstbauprojekt die unkonventionelle, geschickte Lösung.
Jedes Säulenkunstwerk kann so mithilfe eines Krans über eine Stütze gestülpt werden, bevor das Kapitell aufgeschraubt wird und anschließend das Fertigteildach der Säulenhalle folgt. Jede Stütze dient in der Säulenhalle als Plattform für einen Beitrag zum Gesamtkunstwerk und trägt zugleich das gemeinsame Dach der STOA169.
Videos zum Projekt
Bernd Zimmer über die STOA169 www.opusC.com/stoa169
Montage der Ortbetonstützen www.opusC.com/stoa-montage1
Montage von Säulenkunstwerken www.opusC.com/stoa-montage2
Montage der Fertigteil-Dachelemente www.opusC.com/stoa-montage3
STOA169 Stiftung, D-82398 Polling
www.stoa169.com
Bauunternehmen/Fertigteilwerk
Dipl.-Ing. Emil Hönninger GmbH & Co. Bauunternehmung KG, D-85614 Kirchseeon
www.hoenninger.de
Ankerbolzen, Ankerplatten
Peikko Deutschland GmbH, D-34513 Waldeck
www.peikko.de