Kirchenbau aus Leichtbeton in Pliezhausen

Sakrale Stille


In exponierter Lage am Rande des Grünzugs von Pliezhausen südlich von Stuttgart hat die Neuapostolische Kirche Süddeutschland ein markantes Gebäude erbaut. Wie eine starke, unbezwingbare Festung erscheint der Neubau und setzt sich als skulpturaler Baukörper aus durchgefärbtem Leichtbeton bewusst von der angrenzenden Wohnbebauung ab.

Raus aus der Hektik des Alltags, rein in die Ruhe des Raumes. Wie wohltuend die Atmosphäre einer bewusst schlichten, sakralen Architektur sein kann, ist sofort spürbar. Kaum über den Vorplatz, der sich als einladende Geste Richtung Obstbaumwiesen erstreckt, durch das großzügige und zentrale Foyer in den Kirchenraum eingetreten, fällt die Last des Lebens ab und macht stiller Einkehr Platz. Für eine sakrale Stimmung sorgt nicht nur die 12,75 Meter hohe und 10,86 Meter breite Gebäudefront, die außer einem zwei Meter hohen Lichtband in 8,50 Metern Höhe vollkommen glatt und in sich geschlossen ausgebildet ist. Auch die Ostseite unterstreicht mit ihren wenigen Fensteröffnungen und der gradlinigen, schlichten Gebäudeausformung den ganz eigenen Charakter des neuen Gotteshauses. Für diese besondere Wirkung entwickelten die Stuttgarter Architekten Ackermann+Raff Architekten den Baukörper aus der Topografie heraus. Sie ließen die Dachform dem Hangverlauf folgen; zur Straße hin bildet das Volumen einen markanten Hochpunkt aus. Im Kirchenraum ist die äußere Form durch den steil aufsteigenden Deckenverlauf zum Altar hin ablesbar. Das hoch über dem Altarraum platziertes Fensterband und Oberlichter im Bereich der räumlich und farblich abgestuften Decke lassen eine sakrale Lichtstimmung entstehen. Nach Osten ausgerichtete quadratische Fenster mit tiefen Holzlaibungen sorgen für stimmungsvolle Lichtakzente im gesamten Raum. Der Neubau der Neuapostolischen Kirche bietet künftig 250 Besuchern aus drei Gemeinden Platz für Gottesdienst und Gemeindearbeit. Verschiedene Sanitärund Mehrzweckräume werden vom zentralen Foyer aus erschlossen, zwei davon lassen sich bei Bedarf zu einer größeren Einheit zusammenschließen. Die Sakristei öffnet sich mit großzügiger Verglasung zum Kirchenraum, so dass hier – akustisch etwas abgeschieden – Familien mit kleinen Kindern den Festlichkeiten folgen könnten. Die einladende Wirkung verdankt der Kirchenbau auch der Reduktion auf wenige, ausgesuchte Materialien. Bauherr und Architekten ergänzten den Baukörper aus eingefärbtem Leichtbeton mit heimischer, teils unbehandelter Eiche aus dem Schwäbischen, die eine regionale Schreinerei für die geschmackvollen Kirchenbänke und die quadratischen Fenster verarbeitete. Über der 25 Zentimeter dicken Bodenplatte aus Beton und dem Bodenaufbau mit Fußbodenheizung bildet ein Belag aus geräucherter Eiche im Sakralraum und ein polierter Beton im Foyer einen gelungenen Kontrast zu den hohen, hellen Sichtbetonwänden und der dezenten Akustikdecke mit zartem Farbverlauf. Schon verschiedentlich hat die Neuapostolische Kirche ihre Neubauten, mit der sie baufällige Kirchengebäude aus der Nachkriegszeit ersetzt, in Sichtbeton ausgeführt. Für Pliezhausen wählte Bauherrenvertreter Stephan Pfäffle, selbst Architekt, gemeinsam mit Johannes Weiß von den Stuttgarter Architekten Ackermann+ Raff einen Leichtbeton, der mit der Beimischung von 1,5 Prozent Farbpigmenten einen zarten, erdigen Beigeton zeigt. Das Büro hatte sich mit seinem Entwurf bei einem eingeladenen Wettbewerb durchgesetzt. Das gesamte Kirchengebäude wurde aus eingefärbtem Liapor-Leichtbeton in Sichtbeton-Optik errichtet. „In seiner puristischen, schlichten Ästhetik passt die Sichtbetonoptik dieses Leichtbetons perfekt zum Gesamtkonzept des Neubaus“, so Johannes Weiß. „Gleichzeitig ließ sich damit im Fassadenbereich auch die Forderung der Bauherrschaft nach besonderer Langlebigkeit, Nachhaltigkeit und Werterhalt ohne hohe Unterhaltskosten optimal erfüllen. Schließlich ist der Leichtbeton etwa im Gegensatz zu einem herkömmlichen WDVS-System, dessen Lebenszykluszeit rund 20 Jahre beträgt, praktisch unbegrenzt haltbar und erfordert keinerlei Wartungsarbeiten.“ Während Fundamente, Bodenplatte und Dach aus Normbeton bestehen, wurden sämtliche Außen- und Innenwände mit Liapor-Leichtbeton in 61,5 Zentimetern Stärke errichtet. Damit ließen sich auch die Vorgaben der damals gültigen Energie Einsparverordnung (EnEV) spielend erfüllen. Der Zement für den ausgesuchten Beton stammt aus dem Werk Lengfurt der HeidelbergCement AG. Das Bauunternehmen Adolf List aus Reutlingen führte die Baumaßnahmen durch. Mit sieben versierten Betonbauern gelang Bauleiter Klaus Schäfer mit einer Rahmenschalung von 2,40 auf 2,70 Metern die von Architekt und Bauherren gewünschte Oberfläche der Leichtbetonwände. Durch die Rahmenschalung lassen sich die einzelnen Bauabschnitte als fast quadratische Bereiche ablesen, farblich angepasste Betonkonen zeichnen sich dezent ab. Struktur und Porosität der Flächen ebenso wie Farbe und Farbverlauf sollten gleichmäßig sein. Um die an großen Musterwänden besprochene Qualität zu erreichen, musste im heißen Sommer 2015 großer Aufwand betrieben werden. „Gegen die Hitze haben wir die Schalung abgedeckt und die Mischer runtergekühlt“, so Schäfer. „Betoniert wurde ab dem frühen Morgen und angeliefert haben wir im Stundentakt.“ Auch die Verdichtung der bis zu acht Meter hohen Wände durch gezieltes Rütteln erforderte Fingerspitzengefühl, erinnert sich Karl-Heinz Baur vom nahe gelegenen Transportbetonunternehmen Wenzelburger, das den Beton produzierte.

Sichtbeton mit Natursteinanmutung

Mit dem verwendeten Liapor-Leichtbeton ließ sich aber auch die gewünschte Farbigkeit des neuen Kirchengebäudes wie geplant umsetzen. „Der Leichtbeton wurde eingefärbt, um dem Haus den gewünschten speziellen sandfarbenen, muschelkalkartigen Charakter verleihen zu können“, so Johannes Weiß. „Damit wollten wir zeigen, dass Beton auch fast so aussehen kann wie ein Naturstein.“ Dazu kommt, dass die Betonoberflächen ganz bewusst besonders viele Lunker aufweisen und durch die entsprechenden Blasen und Hohlräume außerordentlich lebendig wirken. Farbigkeit, Haptik und Materialität an sich unterstreichen einmal mehr den skulpturalen Charakter des Gebäudes und heben dessen kompakte Flächigkeit wirkungsvoll hervor. Orientiert haben sich Bauherrschaft und Architekt dabei an der kürzlich fertiggestellten neuapostolischen Kirche in Bad Cannstatt, deren eingefärbte Leichtbetonwände ebenfalls eine besonders lunkerartige Oberflächenstruktur aufweisen.

Monolithisch aus einem Guss

Insgesamt kamen beim neuen Kirchengebäude 856 Kubikmeter eines durchgefärbtenLC12/13 der Rohdichteklasse 1.2 zum Einsatz. Er besteht aus einer Liapor-Blähtonkörnung F3,5 2-8 mm; Liapor Sand K 0-4, Zement CEM III/B 32,5 N-LH/SR/NA. Die Betonrezeptur wurde in enger Abstimmung mit Liapor von der Wenzelburger Kieswerke GmbH & Co. KG erstellt. Das Transportbetonunternehmen machte verschiedene Proben und entwickelte mit Hochofenzement aus dem Werk der HeidelbergCement AG eine langsam abbindende Rezeptur mit einer Festigkeit von 18 N/mm2. Bei diesem Zement sei, laut Karl Heinz Baur von Wenzelburger, auch bei hoher Betonqualität der Wasseranspruch nicht so hoch. Pro Lkw ließen sich aufgrund des geringeren Gewichts zehn Kubikmeter transportieren. Im Stundentakt wurden 40 Kubikmeter Beton nach Pliezhausen geliefert. Da dieser Beton nicht pumpbar war, wurde er von der Bauunternehmung mit Kübeln eingebracht. Neben jeder Menge Probewürfel wurden im Vorfeld auch einige Musterwände erstellt, um den gewünschten hellen Farbton und die lunkerbetonte Ausprägung zu treffen. Am Gebäude selbst wurden innen wie außen die gesamten 1.575 Quadratmeter Sichtbetonflächen in identischer Ausführung mittels einer besonders großformatigen Rahmenschalung erstellt, um möglichst glatte, einheitliche Oberflächen zu generieren. Und das ist auch hervorragend gelungen, denn bis auf einzelne Stoßfugen, die sich ganz schwach auf der Fläche abzeichnen, wirkt das gesamte Gebäude einheitlich und monolithisch wie aus einem Guss. Die Gebäudeaußenseiten wurden final noch hydrophobiert. „Bei einem solch speziellen, besonderen Projekt muss die Zusammenarbeit stimmen“, meint Bauleiter Schäfer. Alle Baubeteiligten loben ausdrücklich den koordinierten Austausch. Das für solche Herausforderungen unerlässliche „Sichtbeton Team“ hat sich hier auf beste Weise bewährt.

Den vollständigen Beitrag finden Sie in der Ausgabe 04 / 2021
Ausgabe 01/17
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